Dutch International Garage Festival
Die zweite Ausgabe des Primitive Festivals in Rotterdam liess sich definitiv nicht umgehen. Zeigte ich mich, trotz der Aussicht, endlich Greg Cartwrights Reigning Sound zu sehen, im letzten Jahr noch widerspenstig gegen meine eigenen Bedürfnisse, so war die Once-in-a-Lifetime Gelegenheit, meine All-Time-Faves The Lyres sehen zu können, ein unabwendbares Muss.
Ich las über diese Band das erste Mal etwa 1987 im damals noch existierenden Glitterhouse Magazin. Es war der Bericht eines Konzerts der Band in Paris, bei dem Sänger, Organist, Komponist und einziger Mastermind Jeff Conolly oder auch Monoman genannt (wegen seiner einseitigen Begeisterung für 60s-Garagen-Sound), auf etwas wackeligen Beinen die Bühne betrat und zum Entsetzen der ersten Reihe erstmal ausgiebig seinen Magen entleerte. Dann rutschte er in der Lache aus und seine Orgel kippte auf ihn drauf. Da er nicht mehr hoch kam, blieb er so sitzen und spielte das komplette Konzert unter seiner Orgel begraben und in seiner Kotze sitzend. Irgendwann kam dann noch Stiv Bators, damals in seiner wüstesten Drogenphase, auf die Bühne und sang mit Jeff das Duett “Here’s A Heart” von der damals aktuellen LP “A Promise Is A Promise”.
Ihr könnt Euch hoffentlich lebhaft vorstellen, dass mich diese Band augenblicklich schwerst interessierte und ich mir alles besorgen musste, was ich von ihnen bekommen konnte (womit ich bis heute nicht fertig geworden bin). Umso erstaunlicher für mich der Sound, der völlig puristisch und ohne jegliche Effekte auskommt, furztrocken und dünn, insgesamt aber wesentlich sanfter ist, als ich mir das vorgestellt hatte. Grundeinfacher 60s-Sound, sehr Rock’n’Roll aber dennoch immer wieder einfach nur schön und melodiös.
Meist sind es wehtrunkene Liebeslieder, hingebungsvoll vorgetragen und von den einfachen Melodielinien einer penetranten Vox Continental umschwebt. Darunter aber ein beinharter Beat von einer ungeheuer vorantreibenden Rhythmusgruppe, wozu bei den Lyres auch die Gitarre gehört. Darüber Monomans Stimme, die mal schmachtend sanft, mal bellend wütend sein persönliches Naturell bestens transportiert.
Bereits die ersten Singles von 79 und 81 “Don’t Give It Up Now” und “Help You Ann”, die auch auf der ersten LP “On Fyre” (… and now guess, you motherfuckers, where I took my name off!!!) von 1984 zu hören sind, können als absolute Referenz für das gesamte Schaffen der Band herhalten.
Conolly war stets der Boss, spielte meist eine Zeitlang mit ein paar Leuten zusammen um sie dann wieder zu feuern. Das berühmte Innenblatt der A Promise Is A Promise-LP zeigt einen Stammbaum der Bandmitglieder, der schon bis Mitte der 80er 14 Lyres-Besetzungen aufzählt und damit Zeugnis der Streitsüchtigkeit des Kollegen Conolly ist.
Nach der aktivsten Phase in den 80ern wurde es ruhiger um die Band, obwohl sie niemals wirklich aufgelöst waren und in grösseren Abständen weiterhin Schallplatten (manchmal auch nur Raritätensammlungen oder alte Live-Aufnahmen) auflegten.
2001 gab es Monoman nochmal live mit seiner Prä-Lyres-Kombo DMZ (Review vom Vegas Shakedown) und nun … womit ich nie im Leben mehr gerechnet hätte … schafften es die Macher des Primitive Festivals, den alten Recken zu einem einzigen Auftritt nach Holland einzufliegen und dazu noch in der 84er Besetzung des legendären On Fyre-Albums.
Wie viele 60s- und Neo-60s-Bands spielten auch die Lyres stets viele Coverversionen, von bekannteren Bands wie den Kinks bis zu kompletten Obskuritäten, wozu für mich auch die holländische Beat-Band The Outsiders gehörten, die zwischen 65 und 68 drei LPs und jede Menge Singles veröffentlichten. Daher aber auch die besondere Affinität der Lyres zu den Niederlanden und nachdem Outsiders-Sänger Wally Tax erst im April dieses Jahres gestorben war, harrten wir nun der Aussicht deren Gitarrist Ronnie Splinter, der mit Wally alle Songs geschrieben hatte, als Gast der Lyres auf die Bühne des Waterfronts zu sehen.
Ausserdem standen die jugendlichen Psychopathen der Black Lips, eine der momentan interessantesten und (zurecht) gehyptesten Bands der USA auf dem Programm, was mir die Fahrt nach Strasbourg ersparte. Doch die meisten der insgesamt 17 Bands, die auf dem diesjährigen Primitive aufzutreten gedachten, riefen in mir grosse Vorfreude hervor und daher: Karten gekauft, Badehose eingepackt und eben mal nach Rotterdam gefahren.
Rotterdam selbst hat, obwohl es die Stadt mit dem grössten Hafen der ganzen Welt ist, ein Flair, das für mich bislang nur von Pforzheim untertroffen werden konnte. Das liegt allerdings hauptsächlich am massiven Bombardement, das die Stadt von den Nazi-Motherfuckers hinnehmen musste. Die Innenstadt wurde vollständig zerstört und dann leider auf höchst unangenehme Art und Weise wieder aufgebaut. Berühmt sind der Bleistift und die Cubus-Würfel im Zentrum, die, umrahmt von endzeitbeschwörenden Büro- und Wohnhochhäusern eine Betonwüste sondergleichen darstellen.
Doch dann war es Zeit für rohen 60s-beeinflussten-Power-Pop and Garage-Punk!
Donnerstag 30.6.05
The Rapiers, The Phantom Surfers – Rotterdam, Waterfront
Da wir heute erst ankamen, verpassten wir die ersten Bands, trafen aber rechtzeitig zum Set der britischen Rapiers ein, die trotz des Todes ihres Gitarristen Wayne Nicholls, bei einem Autounfall, gerade zwei Wochen vor dem Primitive, ihren Auftritt durchführten. Zu hören gab es astreinen Merseybeat und Surf-Instrumentals, ganz authentisch eher zurückhaltend und nicht so aggressiv, wie viele Neo-60s-Bands die damalige Musik interpretieren.
Danach die Phantom Surfers aus San Francisco. Die Band stammt aus dem Umfeld der legendären Mummies, Supercharger und Untamed Youth und spielt auch einen ähnlichen Surfsound wie die letzteren. Die Phantom Surfers treten ihrem Namen entsprechend maskiert auf, doch leider bin ich für Surf-Musik nicht sonderlich empfänglich und so beendeten wir den ersten Abend nach der Anfahrt auch beizeiten.
Freitag 01.07.2005
Et Explore Me, Hara-Kee-Rees, The Indikation, The Thanes, The Masonics, King Khan And The Shrines – Rotterdam, Waterfront
Wir fanden uns am zweiten Nachmittag bei schönem Wetter erstmal auf der Terrasse des Waterfronts ein, die, sehr nett direkt an der Hafenpromenade gelegen, eine angenehme Gelegenheit zum Relaxen und trotzdem gute Musik von den DJs des Waterfront Cafes bot. Cool!
Für mich eine der grössten Sensationen des Festivals, gab hier der Londoner DJ Wheeley Bag ein leider viel zu kurzes Stelldichein. Unser Fotoapparat versagte an dieser Stelle leider zum ersten Mal seinen Dienst, daher nur ein Foto von der Primitive Website.
DJ Wheeley Bag spielt alte Rhythm’n’Blues und Rocksteady-45er von seinem Trolley, eine fahrbare Dj-Station wie aus einem Antiquitätenladen mit eingebauter Anlage. An langen Stäben befestigt, tänzeln zwei Barbiepuppen vor dem Gehäuse herum. Da er nur einen Turntable hat, muss er, während er die Platten wechselt, immer eine Ansage machen, was er auf sehr unterhaltsame Weise tut.
Um 17 Uhr begannen dann Et Explore Me aus Haarlem, die mir ausgezeichnet gefielen. Rauer, verzerrter Blues-Punk mit treibenden Rhythmen, weniger 60s als die meisten Bands des Festivals, sondern eine moderne Band degenerierter Out-of-Tunies. Geil!
Bevor nun die Hara-Kee-Rees auftraten, baute sich vor der Bühne eine ordentliche Menge Garage-People auf, denn den Kölnern eilt ihr Ruf nach der aktuellen zweiten LP mittlerweile weit voraus. Insbesondere das gute Review im Horizontal Action machte Europas Rock’n’Roller gespannt und sie wurden nicht enttäuscht. Ihre Reputation konnte man auch daran ablesen, dass der Host des Primitives, Dink Winkerton, ein zynischer und lustiger Announcer, sich die Ehre gab, bereits am Nachmittag aufzukreuzen, um für die Hara-Kee-Rees die Fans anzuheizen.
Die Band ist sehr am North-West-American-Punk-Sound der 60er orientiert, nehmt Euch vielleicht die Sonics als Ausgangsbasis für Vergleichsmöglichkeiten. Dabei lassen sie trotz recht einfachen Sounds und Kompositionen und meist gleichbleibend unverzerrter Gitarre mit vielen rhythmischen Variationen keine Langeweile aufkommen. Die Show besticht ausserdem durch ansprechende Entertainer-Qualitäten der ganzen Band. So nutzte der Organist/Saxophonist gleich den halben Tresen für seinen Bewegungsdrang und der Sänger bestach durch umwerfende und sehr natürliche Sympathie. Insgesamt haben die Hara-Kee-Rees ne Menge Schmiss und Schwung in ihrer Musik und garantieren live kurzweiligen Spass.
Soweit alles ok mit dem Primitive. Wir zockelten zufrieden ob des Nachmittagsprogramms und der drei Biersche im Hirn dahin, um uns bis zum Abendprogramm noch einen Happen zu genehmigen.
Da wir uns dann doch noch entschlossen, kurz auf dem Hotelzimmer auszuspannen, verpassten wir Indikation aus Norwegen und fanden uns zu Beginn der schottischen Thanes ein, die ich, nachdem ich das letzte Album rauf und runter hörte, mit heissem Herzen erwartete, live aber schlicht und einfach langweilig fand. Die Jungs sind nicht sehr hübsch, wofür sie natürlich nix können, doch auch die Liveshow kam überhaupt nicht aus den Puschen und so verpuffte viel der Energie ihres melodischen 60s-Garagen-Punks.
Danach wurde es zum Erstenmal richtig eng vor der Bühne, Dink Winkerton bequemte sich wieder und sagte eine etwa 8köpfige, gut aussehende und perfekt kostümierte 60s-style Girl-Dance-Group names Lucy Dee’s Angels an, die für zwei oder drei Songs vom Band mit den Hintern wackelten, allerdings recht emotionslos – nett aber nicht mitreissend.
Es folgten flugs die Masonics, das nächste Highlight, angeführt vom britischen 60s-Garage-Kronprinzen Mickey Hampshire, der mit Wild Billy Childish einst die Milkshakes anführte an deren Schlagzeug Bruce Brand sass, der auch hier wieder mit von der Partie war. Wieder, auch, weil wir ihn erst vor kurzem mit Bongolian und Holly Golightly in Schorndorf zu sehen bekamen. Am Bass stand John Gibbs (ex-Kaisers) und dieses Trio wusste nun richtig auf die Kacke zu hauen. Garage-Punk mit Bad-Gentleman-Attitude, ganz in der Tradition der britischen Childish-Szene zauberte uns ein schmieriges Grinsen aufs Gesicht, machte uns Alkoholika und Zigaretten im Minutenrhythmus konsumieren.
Hier seht ihr Dink Winkerton, niemals um ein peinliches Kostüm verlegen, der Host des Primitives, wie er King Khans Shrines, die letzte Band des Freitagabends, ansagte.
Ich fand ja zunächst nicht unbedingt, dass die Shrines berechtigt an der sogenannten Headliner-Position – nach den Masonics!! – standen, doch als der King dann mit einem riesigen selbstgebastelten Eselskopf und seinem Voodoo-Stecken auf die Bühne kam, schrie sich das primitive Publikum derart die Tränen aus den Augen, dass man unweigerlich das Gefühl hatte, einem ganz grossen Event beizuwohnen.
Und verdammich, sind die gut geworden. Viel mehr am 70s-Soul orientiert, perfekt eingespielt, optisch wesentlich besser abgestimmt als früher, sind die Shrines heute die totale Partymaschine. Der King ist der Entertainer per se, die Band tight wie ein Schifferknoten und die Tänzerin zeigte den Lucy Dee’s Angels wo’s lang geht, indem sie, auch wenn sie nicht das Kostüm der Angels besass, sich viel besser bewegte, viel besser auf die Songs abgestimmt war und einfach eine Leidenschaft an den Tag legte, die unprätentiöse Sympathie galore ins Publikum schoss.
Gut, nach ner Dreiviertelstunde wurde es mir dann doch etwas langweilig, doch bin ich nunmal auch nicht der Soulheld schlechthin. Sowas tut bei mir immer nur ne Weile lang.
Samstag, 2.7.05
Stilettos, Nederbietels, Dee Rangers, Cool Jerks, Black Lips, The Lyres – Rotterdem, Waterfront
Utrechts Stilettos und die Nederbietels, die nachmittags zum Karaoke aufgerufen hatten, schafften wir leider nicht. Zur Strafe versagte abends unser Fotoapparat wieder seinen Dienst. Die Dee Rangers, schwedische Neo-60s-Rocker, die den Abend eröffneten, stellten nach kurzer Begutachtung eine gute Gelegenheit dar, kurz zum Hotel zurückzurennen und die Batterien zu erneuern, doch wurde mir das Vorhaben von einem freundlichen Mädchen mit einem Baileys-Glas strengstens untersagt. Sie musste mir dazu allerdings auch versprechen, dass es möglich sein würde, Fotos vom Primitive im Internet zu finden und das traf dann auch tatsächlich ein. Die folgenden Fotos kommen mit freundlicher Genehmigung von The Savage Lady, deren Website GarageSavage.com leider später aufgegeben wurde, so dass ich jetzt nicht mehr verlinken kann.
Bremens Cool Jerks heizten dafür ordentlich ein. Eine tolle Beat-Band mit tollem Humor und seit ihrer zweiten Platte ausschliesslich mit deutschen Texten, was ich für eine sehr mutige Idee halte. Ausserdem haben sie das beste Promofoto, das ich seit langem gesehen habe, das auch ihre aktuelle Platte “Wir beaten mehr” schmückt. Zu ihrem Auftritt fühlten sich die Gogo-Girls, die links und rechts der Bühne ein kleines Podest hatten und die sich über alle Tage gelegentlich ein paar Stelldicheins boten, am meisten während des ganzen Festivals zum Dancen animiert.
Nicht so bei den folgenden Black Lips. Es war ja fast ein traumatisches Erlebnis: Die letzten Akkorde kreischen aus den Boxen, als der Sänger seinen Verzerrer nimmt, von der Bühne springt und keine Armlänge von mir entfernt, zu Stroboskoplicht noch ein bisschen mit seiner Gitarre umherschwingt, sich dann die Hose herunterzieht und anfängt, wild in der Gegend herumzupissen, zuletzt ins eigene Maul.
Tja, so kann man Leute beeindrucken. Doch auch ohne diese Vorstellung wussten uns die Teenager aus Atlanta schwerstens zu begeistern und waren die einzige Band des Festivals, die mich 45 Minuten lang mit heruntergeklapptem Kiefer dastehen liessen. Sound und Kompositionen sind im Vergleich zu den Jungs ausserordentlich reif und zeugen von einem erstaunlichen Background. Die Jungs wirken als wären sie aus dem Heim für schlecht erziehbare Kinder ausgerissen und ihre Touren nichts als der Vorwand für ihre Flucht vor den Behörden.
Für mich derzeit eine der interessantesten und hoffnungsvollsten Bands der aktuellen Punk- bzw. Garage-Szene. Sie nehmen uns am Händchen und führen uns auf die nächste Ebene der degenerierten Musik. Phantastisch!
Dann war es endlich Zeit für die Lyres. Das Gedränge vor der Bühne wurde nun etwas unangenehm und der Nazi direkt vor mir wusste nicht so recht, ob er nun moschen oder lieber seiner Freundin das Gesicht abschlecken sollte. Glücklicherweise stimmten die Lyres in der ersten Viertelstunde nur zwei drei bekanntere Nummern an, weshalb sich die grosse Euphorie schnell legte. Leider tat es mir nach einer Weile selbst weh, denn am Ende fehlten mir auch mehr Smasher um ganze Sache am Kochen zu halten.
Zwar gab es noch oben erwähnten Ronnie Splinter von den vor fast 30 Jahren verblichenen Outsiders zu sehen, der zwei Outsiders-Songs mit den Lyres vortrug, doch auf der anderen Seite der Bühne stehend, für mich und meine Augenschwäche ziemlich nach Nicki Lauda aussah, vielleicht auch nur wegen der roten Mütze.
Conolly schien insgesamt etwas ZU zufrieden und seine Mitmusiker gaben ihm wenig Anlass zum Beschweren. Zwar gestikulierte er ihnen immer wieder die Einsätze vor, denn alles muss immer haargenau so passieren, wie es dem Gefühl des grossen Meisters entspricht, doch dabei blieb es dann auch. Somit wurden uns leider zusätzliche Spannungsmomente vorenthalten und ich stand am Ende da und war … naja, schon ganz schön enttäuscht.
Nungut. Jetzt hab ich’s gesehen, kann mich zuhause wieder meinen Lyres-Platten zuwenden und der Balinger Nachwelt wird ein umherwandelnder Geist erspart bleiben, der nicht ruhen kann, weil er zu Lebzeiten seine Lieblingsband nicht zu sehen bekam.
Am Ende des Festivals legten im grossen Saal noch eifrig DJs auf, doch auf der Terrasse waren die Bierbänke weggeräumt und kurz später wurden alle reingebeten. Überall schien der Rauskehrer einzuziehen und die bislang zurückhaltenden Security-Leute standen einem auf einmal überall auf den Füssen herum. Ein gemütlicher Ausklang des Festivals wurde uns somit leider verwehrt, was wir sehr schade fanden, was aber wirklich der einzige Wehrmutstropfen an der ansonsten toll organisierten Veranstaltung war.
See ya next year, Waterfront.