Burn Baby Burn – Mi. 16.03.2011 – München, Muffat Ampere

2011 Live

Burn Baby BurnMünchen, Muffat Ampere (ca. 50 Zuschauer)
Ein Abend der Superlative: Top-Quality Entertainment, überraschend, gruselig, lustig, unfassbar. Wir haben gelacht und wir haben uns gefürchtet. Mehr konnte man nicht erwarten, auch wenn man dieses Ereignis leider nur in intim-zurückhaltender Atmosphäre feiern durfte.
Vorweg war uns nicht wirklich klar, was es zu sehen geben sollte. Angekündigt waren Alex Hacke (Einstürzende Neubauten), der dieser Tage mit seiner Frau Danielle de Picciotto eine neue LP als Hitman’s Heel veröffentlichte, Kid Congo Powers (das alles schlagende Argument, das mich die Eintrittskarten in panischem Aktionismus bestellen liess, fast als müsste man jede Sekunde damit rechnen, dass alles ausverkauft ist. Wem muss ich Kid Congo Powers erklären? Kid ist legendärer Gitarrist beim Gun Club, den Cramps, bei Nick Caves Bad Seeds, den Divine Horsemen und mehr. Solltest Du keine dieser Bands kennen, dann bist Du entweder sehr jung und wirst auf der Stelle alles Menschmögliche unternehmen alle diese Bands kennenzulernen oder der Zugriff auf diese Website wird für Dich in Kürze automatisch gesperrt), eine mir nicht bekannte, aber wohl umso legendärere Person namens Khan und die mir ebenfalls vorher nicht bekannte Julee Cruise … noch nicht.
Aber von Beginn an: Spärlich spärlich fand sich das Publikum ein … und es wurde nicht besser. Ich würde mal sagen, zieht man die Gästeliste ab, waren das kaum 30-40 Leute. Wenn man bedenkt, dass dies ausser Berlin der einzige Auftritt dieses einzigartigen Ensembles in Deutschland war, könnte man das eine glatte Schande nennen. Ich habe immer mehr das Gefühl, dass die Leute momentan überhaupt gar nichts interessiert, ausser vielleicht die spassgesellschaftskonformen Massenveranstaltungen. Musikalische Kunst aber … das zieht momentan nicht. Ich glaube, wir befinden uns derzeit in einem historischen Vakuum, einer musikalischen Eiszeit. Alles langweilt, nichts reisst vom Hocker. Die Leute warten auf die neuen Stones oder wegen mir den neuen Curt Cobain, auf irgendwas, das sie mit Urgewalt aus ihrer Lethargie reisst. Und Hacke und Co. sind das bei allem Respekt natürlich auch nicht. Wollen sie auch gar nicht sein. Dennoch eilt diesem Line-Up eigentlich soviel Credibility voraus, dass ich mich für alle mitschämte, die nicht da waren. Wie konnte man das dem armen Alex nur antun, wo er doch soviel für die deutsche Musikwüste getan hat? Als ich die Neubauten das erste Mal sah, war das wirklich wie eine Götterdämmerung. Und immer noch gehören sie zum Besten und Revolutionärstem, was die deutsche Rockgeschichte je hervorgebracht hat.
Ganz bescheiden zeigte sich der äusserst sympathische und natürliche Gastgeber und Initiator dieser Veranstaltung mit seiner Band Hitman’s Heel als erster Akteur des Abends. Er spielt Gitarre und singt, am Keyboard und an der Zither seine süsse Frau Danielle und stehend am Drumset der Hugo Race’ Drummer Chris Hughes. Damit war die erste Supergroup des Abends schon mal perfekt und bereits nach 5 Sekunden breitete sich das wohlige Gefühl des Die-Anreise-hat-sich-gelohnt’s aus. Wir bekamen intime skurrile Balladen zu hören, zwischen Blues und Industrial, liebevoll, böse, kindlich, schön. Dazu liefen im Hintergrund riesige Animationen von Picciotto. Das war schon mal sehr ergreifend. Hacke sah in seinem schlecht sitzenden Anzug aus wie ein staubiger Handelsvertreter, der in die falsche Zeit versetzt wurde, Picciotto mit Kleidchen und Hütchen und Blümchen in den Haaren wie ein verwunschenes Kind aus einem Märchen, das sie sich selbst ausgedacht hat. Dazu der im Stehen trommelnde Hughes, der ziemlich unsicher immer wieder auf Hackes Einsätze lauerte, damit er die nicht total verpatzte. Von den Bewegungen sah das aus, als hätte er heute zum ersten Mal in seinem Leben Trommelstöcke in der Hand gehabt. Den Beat hielt er sauber, doch er hatte einfach die Songabläufe nicht richtig intus und bei jedem Übergang blies er hinterher die Backen auf wie ein Blaseengel. “Puh! Geschafft!” Wirklich ein niedliches Trio. Sympathisch, bescheiden, etwas wackelig, dennoch sehr ergreifend und kunstvoll. Man wollte sie alle umarmen.

Bühne frei für Kid, Khan und Julee. Jetzt begann das Unfassbare, das Unerbittliche, eine Geisterfahrt auf dem Karussell der Emotionen. Es gibt mittlerweile einige Videos im Internet von dieser Veranstaltung, die mir ersparen, das Unbeschreibliche in Worte zu fassen. Einfach “Kid Congo Powers Khan” ins Google tippen, meine Freunde, und dann seid Ihr mit uns. Kid mit beigem Anzug, weissen Turnschuhen, kurzgeschorenen Haaren und lustigen Bewegungen sah aus wie ein ein Komiker. Khan (im richtigen Leben auch als Captain Comatose bekannt, Autor und Produzent einer wahrhaft unendlichen Liste an Platten und Projekten) am Keyboard, ein riesiger Schlacks mit hellrotem Anzug über weissem Tshirt und ebenfalls weissen Turnschuhen und am Gesang die völlig durchgeknallte Julee Cruise, eine leicht gealterte Frau mit blonder 80er-Frisur, einem langen schlapprigen weissen Unförmigem als Top, darunter schwarze enge Hose und Badelatschen. Was die drei machten, liess einem die Augen rausfallen, den Mund aufklappen und sich heimlich nach links und rechts drehen, um deren Wirkung auf die anderen Leute zu beobachten, vielleicht sogar eine versteckte Kamera zu suchen. Was die mit uns trieben, da wusste man nicht mehr, ob die einen verarschen, ob das Komik, Ironie, Geisterbahn war, ob jetzt gleich die Tür zugeht und wir für den Rest des Lebens mit denen eingeschlossen sind, oder ob jetzt gleich einer anfängt zu lachen und sagt: “Mensch, wir haben doch nur Spass gemacht.” Die trugen das aber mit dem vollsten Ernst des in seiner eigenen Welt agierenden Avandgardisten vor und … mein Gott … das hatte Qualität und Hand und Fuss und wurde aus dem Ärmel geschüttelt, als wäre niemals etwas leichter gewesen, als diese Musik zu machen. Keyboards, Loops, bescheiden im Hintergrund bleibende Beats, Congos scheppernde Gitarre (ich behaupte, der kann nun wirklich ganz und gar nicht Gitarre spielen. Eigentlich macht er nur Krach, schiesst grelle hirnspaltende Dissonanzen ins Weltall und wenn er tatsächlich mal ein paar Töne in gleicher Reihenfolge hintereinander spielen muss, beisst er sich auf die Zunge und verfolgt konzentriert die Wege seiner unbeholfenen Finger) und eine ganz und gar furchterregende Julee Cruise, deren himmlischer Gesang das eine war, die vom Wahnsinn angetriebene Gestik das andere. Meine Angst vor dieser Frau hatte etwas Vollkommenes. Julee kennt man von der Twin Peaks Melodie “Falling”. Sie hat den Song mit Bandalamenti geschrieben und gesungen. Und wie die Frau kuckte und sich bewegte, das war David Lynch-Feeling pur. Nur, dass man nicht im Kinosessel sass, sondern mittendrin war. Die konnte ja jederzeit runterkommen und einen anhauchen, um Gottes Willen. Ich hab dann tatsächlich mutig durchgehalten, die Tür aber immer im Auge, damit ich schnell wegrennen konnte, wenn sich die Situation zuspitzen sollte.
Nach einigen wirklich schönen und seltsamen Songs stolperte sie dann, sich an der Wand entlang tastend, die Arme und das Gesicht auf eine nur für sie sichtbare übergeordnete Instanz gerichtet, aus dem Bild, setzte sich hinter die Wand des Merch-Stands und dann schafften es Khan und Powers wie zwei Zauberer meine Aufmerksamkeit auf sich zu richten, so dass ich leider nicht mehr sehen konnte, wie Cruise dann von dort verschwand. Ob sie plötzlich normal war und kichernd davon lief oder was auch immer sie tat. Ich wollte es wissen, hab’s aber verpasst.
Übergangslos rockten sich Khan und Powers nun nämlich durch eine Reihe elektronisch getriebener Disco-Songs. Man muss das gesehen haben, um es zu glauben. Khan breitete einen metergrossen bunten Fächer aus, stülpte ihn sich über den Kopf, stützte sich lässig auf den Mikroständer und sang voller Ernst und Inbrunst “You are my Candy Girl, you are my Lollipop, you’re the sweetest I’ve ever had” oder so ähnlich. Ich vergass zu blinzeln, holte mir noch ein Bier und nippte apathisch daran herum, auf die Bühne starrend wie ein Kind, das zum erstemal im Leben den Kasper sieht.
Nick und Lydia (Cave und Lunch), das aufgestylte Teenagerpärchen, das, wie Daniel und ich, als allererste an der Saaltür standen, scharrend, nervös, schon fünf Minuten bevor die Tür überhaupt aufmachte, denen muss echt die Spucke im Hals gefroren sein, witzelten wir.
Und dann kam sie noch mal: Julee Cruise. Da war Lydia Lunch am Tag zuvor überraschenderweise nur mit heisser Luft geladen. Sie sang “Falling” und Kid Congo’s sehnsuchtsvoller Blick in die oberen Abteilungen des Saals bewiesen, dass diese einfache Melodie voller Kraft ist. Auch wir waren ergriffen.
Und dann war plötzlich alles vorbei. Zu einer Zugabe kamen noch mal alle Akteure des Abends gemeinsam auf die Bühne und sangen den alten Jodler “Goo Goo Muck”. Cruise tänzelte dabei wieder völlig neben sich herum, gestikulierte wild mit den Armen in der Luft und hielt Hacke das Mikro ins Gesicht, auch dann noch als es schon lange nichts mehr zu singen gab.
Wir harrten noch lange aus, tranken noch einige Biere und liessen das Geschehene Revue passieren. Die Akteure, ausser Julee Cruise, sassen am Merch, alberten mit ihren Gästen herum, liessen sich vom spärlichen Erfolg nicht die Laune verderben und packten anschliessend selbst ihren eigenen Krempel wieder zusammen.
So richtig kam uns aber erst am nächsten Tag, was wir da gesehen hatten. Wir trieben uns noch durch München, kauften Schallplatten und sprachen nur über … Burn Baby Burn. Danke für diesen Abend.

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