Lau Nau, Delphine Dora – Berlin, Ausland (ca. 30 Zuschauer)
Foto von Arve Knudsen, ohne Erlaubnis von der Website von LauNau kopiert.
Tja, hmmm … weiss noch nicht, wie ich mich aus dieser Nummer rausstehlen soll. Ich fand’s einen ungemütlichen, beklemmenden Abend. Einmal unser erster Besuch im Ausland, in dem ich mich fast schon eingekerkert fühlte. Der Kellerraum ist eigentlich supercool und ich bin total mit den Veranstaltern, die nett sind und sich hier viel Mühe machen. In dem bestuhlten Raum kann man sich aber kaum bewegen. Trotz der Enge fühlte ich mich total distanziert zu allen anderen Menschen, die da waren. Es herrschte eine betreten verklemmte Atmosphäre wie bei einem Schulkonzert und man traut sich kaum den Kopf zu bewegen, damit das Knacksen der Halswirbel nicht die Performance stört. Ich weiss, ist alles MEIN Problem. Aber die Möglichkeit, sich ein bisschen zu bewegen, und auch mal unauffällig den Platz zu wechseln, ev. mal aufs Klo zu gehen, noch ein weiteres Getränk zu kaufen, egal was, hätte ich extrem erleichternd empfunden.
Zu hören und zu sehen und im wahrsten Sinne ihre extreme Durchlässigkeit zu fühlen, gab es die Französin Delphine Dora, eine Pianistin, die mir schon nach den ersten Tönen Panikattacken ins Nervensystem trieb. Meine idiotisch höflich-respektvolle Haltung gegenüber jeder Art von Musikern liess mich jedoch zu einem Stein erstarren, der den Holocaust über sich ergehen lassen muss. Als die Dame dann zu ihrem verkennbar ausdruckslosen Gesang ansetzte, wusste ich nicht mehr, ob ich mitleidvoll oder empört über soviel Selbstvertrauen sein sollte und ich wusste es nicht, bis zum Ende dieser entsetzlichen Stunde … denn, wie alle Künstler, deren Schaffen auf einem anderen Niveau steht als ihr Selbstbewusstsein, wusste sie nicht, wann die richtige Zeit für das Ende ist. Ich mag ein Kunstbanause sein – und es ist nicht, dass sie sich versungen oder verspielt hat, denn das ist in diesem Forum kein Abwertungskriterium – aber für mich überwog eine ganz hinterhältige Art von als schüchtern-dezent getarnter Aufdringlichkeit, die mich verärgerte und meine Begleiterin aggressiv machte, wie sie mir hinterher erzählte.
Die Finnin Lau Nau war da weit weniger anstrengend, wirkte weniger offensiv und ruhte sehr angenehm ihr ihrem Selbstvertrauen. Was ich zunächst vermisste, war ein Instrument. In der Beschreibung stand was von Gitarre. Vor ihr befand sich allerdings nur ein Koffer mit Kabeln und Steckern, eine mittlere Armada von Effektgeräten und Loopern aber immerhin KEIN Laptop. Ihr elektrischer Klangerzeuger oszillierte also die melancholischen Harmonien, zu denen sie sich dann teils am Klavier begleitete (von dessen Anwesenheit sie aber wohl vorher gar nicht wusste – was ich doch sehr beachtlich fand, denn offensichtlich stellte sie sofort ihr Programm daraufhin um, wozu so kurzfristig nicht jeder Musiker in der Lage ist) und sang, mal ohne Text, mal mit.
Nun hätte ich mir nichts mehr gewünscht als, dass sie sich erspart hätte, uns den Inhalt der Texte zu erklären, denn dies würgte nicht nur die Atmosphäre ab, die sie immerhin – ganz anders als ihre Vorsängerin – aufgebaut hatte, sondern stahl sich selbst den Zauber. Wem zur Hölle, muss denn ich, als Analphabet, das Wesen der Wirkung der Kunst nahebringen, das den Inhalt zwar transportiert, aber die Farben und die Emotionen und die Worte und die Klänge auf Schwingen in die Herzen trägt, und so diesen Rausch erzeugt, der uns erstarren und leben lässt. Und das mit dem Herzen ist nur ein Beispiel. Der Ebenen gibt es viele und es gibt nichts Tödlicheres, als ein Teil des Ganzen herauszunehmen und erklären zu wollen … nur weil sie eben auf finnisch singt und das keiner versteht. Herrgott, das war der erste Todesstoss und der zweite kam, als sie Delphine Dora fragte, ob diese Lust hätte, mit ihr zusammen noch ein Stück zu improvisieren. Hatte sie vorher nicht zugehört? Das ist ja quasi, als hätte Da Vinci dem ersten Möchtegern, der vor seinem Haus rumlief, einen Pinsel in die Hand gedrückt, um bei seinem noch nicht fertig gestellten Werk mit Hand anzulegen. Eine unglaubliche Dummheit, die man ihr mal vor Augen halten müsste.
Meine Begleiterin stob angesichts dieser Ankündigung sofort nach draussen und ich bewunderte ihren Mut und träumte von Freiheit, einem neuen Bier, einer Zigarette. Tja, MEIN Problem.
So wurden wir alle Zeugnis einer nicht gewollten und unbeholfenen Zugabe. Lau Nau steckte Kabel und drehte Knöpfe. Was dabei aus den Lautsprechern knarzte, klang soweit gut. Delphine aber tippte dazu auf dem Klavier rum , wie eine unsensible Sekretärin auf der mechanischen Schreibmaschine und … entdeckte in einem Moment unheilvoller Berufung, dass da noch das Mikrofon hingt, direkt vor ihrem Kopf. Da Lau Nau sehr gut singen kann, auch wenn sich das am Ende auf wenig mehr als tausend Mal gehörtes Mädchen-Gejammer beschränkte (nein, jetzt ist Schluss, es war eigentlich ziemlich gut), war ab diesem Moment klar, dass das Selbstbewusstsein von Delphine Dora unter Fehlschaltungen leidet. Ich fühlte mich gefangen und erniedrigt, meine Rezeptoren, mein Empfinden, meine Sinne wurden beleidigt und ich kann kaum glauben, dass ich der einzige im Raum war, dem das so ging.
Und doch erhoben wir am Ende unsere schreck-erstarrten Glieder und begannen in genauso fehlgeleiteter Höflichkeit zu klatschen, die DD nur zu weiteren Untaten anstiften wird. Quasi sind wir schuld daran, dass hunderte Menschen nach uns das gleiche Schicksal ereilen wird. Eine Unverantwortlichkeit, durch die ich sämtliche Achtung vor mir selbst verloren habe. Offensichtlich hab ich aber noch nie welche besessen, denn tatsächlich fühle ich nur eine leichte Reue, jetzt wo ich genauer drüber nachdenke. Zur Hölle mit mir! Wie kommt es eigentlich, dass jeder in diesem verfluchten Internet ablassen kann, was er will. Wie kommt es, dass Leute wie ich Konzerte besuchen dürfen? Brauchen wir hier nicht Regeln, die Leute wie mich einsperren, um Leute wie Delphine daran zu hindern, weitere Leute zu foltern?
Nein, denn Ihr nehmt mich hoffentlich nicht ernst, hehehe. 28 von 30 Leuten hat es an diesem Abend vielleicht gefallen. Ich hoffe auf 25.