hackedepicciotto, Glice – Leipzig, UT Connewitz, ca. 50 Zuschauer
Für mich sind sie Superstars und ich kann es mir schlicht und einfach nicht vorstellen, dass einer von den Neubauten in der Stadt ist ohne, dass ich mir das ansehe. Die sind mir so ans Herz gewachsen, als wären sie alte Freunde und wieso in aller Welt, sollte man ein Konzert verpassen, das ein alter Freund in der Stadt gibt.
Das sehen aber offensichtlich nur wenige so, denn schon länger gilt es festzustellen, dass alle außer Bargeld immer noch auf Ochsentour sind. Das war bei Alexander Hacke schon mit der unglaublichen Burn Baby Burn-Show vor mehr als 10 Jahren so, als auch bei der Ministry of the Wolves-Geschichte – alles eigentlich superspektakuläre Ereignisse in der weltberühmte Artisten mitwirkten. Lediglich wenn sie in Berlin aufkreuzen, ist das treue Lokalpublikum da (wie bei seiner Show als Risha mit David Eugene Edwards), ansonsten tummelt sich da eine Handvoll Erwartungsvoller, quasi mit mir gleichgeschaltete Hintermsteinlebende, die ungläubig um sich schauen, wo denn jetzt gleich ne Tür aufgeht und noch mal 250 Leute reinkommen. Für mich ist es schon alleine eine Geste des Respekts, hier zu erscheinen.
Ja, es ist nicht die 1. Liga in der Hacke und seine angetraute Danielle De Picciotto spielen. Es ist nicht die allergrößte Kunst. Aber sie sind immer einzigartig und prinzipiell weit über dem was man sonst so jeden Tag aus deutscher Subkultur vorgesetzt bekommt.
Auf ihrem jetzt vierten Album als hackedepicciotto (und das ist eigentlich tiefgestapelt, denn in Union mit anderen Musikern gibt es unter anderen Namen reichlich mehr) haben sie den zweistimmigen Gesang entdeckt, der das Klangbild wieder um eine weitere Facette bereichert, der sich auf diese Art und Weise gerade sonst niemand annimmt. Fast prozessual klingt das, mittelalterlich (und vergesst jetzt einfach mal die Klischees in denen Deutschland schon seit geraumer Zeit in Mittelalter-Retro-Kultur ertränkt wird) und daher aufhorchen lassend. Dazu DePicciotto jetzt vermehrt mit Geige und, ebengleich wie Hackes Gitarre, meist in den Loop geschickt.
Dann wird ein wenig dazu getrommelt, was er übrigens sehr ungelenk macht, wenn ich an die Zeiten zurückdenke, wo er auch als Schlagwerker mit eine Hauptrolle bei den Neubauten spielte. Herausheben möchte ich daher vor allem seinen Gitarrensound. Da merkt man einfach die ausserordentliche Qualität dieses Klangkünstlers, der nicht nur weiß, wie eine Gitarre zu klingen hat, sondern das auch hinbekommt.
Nach einer Weile wird mir dann aber doch auch wieder alles zu gleich. Der mehrstimmige Gesang wird fast identisch über mehrere Songs eingesetzt und dann fühlt sich das für mich auf einmal wieder so an, als würde dich einer immer wieder an derselben Stelle drücken: Da muss auch mal verlagert werden, sonst wird es unangenehm und fängt an zu nerven.
Außerdem finde ich De Picciottos visionäre Grafiken zu dem künftigen Aussehen eines Tegelhofer Flughafens kühl und deprimierend. Ein Design das für mich entkoppelt von jeder Emotionalität ist und daher unnahbar, abstoßend und überhaupt nicht zu den Personen und der Musik passend. Denn diese Personen sind unabgehoben und nahbar. Hacke klettert sobald er seine Gitarre weggelegt hat, etwas steif von der Bühne, einen Karton mit Platten dabei, den sie “den ganzen Weg aus Berlin mit dem Zug hierher geschleppt” haben. Selbstironie kann nicht jeder. Ich aber möchte diesen Menschen und allen Menschen danken, die weiterhin auf ihre Konzerte gehen.
Davor durften wir den elektronischen Klängen des amsterdamer Synthie-Duos Glice lauschen. Erstmal nicht so weit von dem entfernt was gerade soviele mit Synthies machen, wenn auch klangleich deutlich besser und breiter angelegt als die ganzen Koffer-Synthie-Geräusch-Macher: Erstmal etwas Rauschen und dann mehr Rauschen, Brummen, Röhren, Klappern und weitere elektroakkustische Anreicherungen, mal harmonischer, mal disharmonischer, mal armageddonmäßig.
Sie gefallen uns dennoch, sind prinzipiell schon mal nicht überheblich und selbstgefällig, sondern fast schon zu schüchtern im Auftreten. Sie haben sich zwei große Tische in der Mitte der Bühne zusammengeschoben, auf denen sie ihre Klanggeneratoren zusammengestöpselt haben und stehen sich damit gegenüber, also seitlich zu uns gewandt. Neben dem Elektronischen gibt es auch noch eine Gitarre, die viel zum Noise beiträgt, was live allerdings wesentlich weniger als im Studio überhaupt durchzuhören ist. Dazu wird manchmal auch gesungen … naja, ich würde das eher als Jauchzen, Jammern, Klagen, Atmen bezeichnen. Die Stimme ist eher ein weiterer Klangaspekt, live sogar noch Emotionen in das ganze kalte Krach-Gewitter einbringend, denn so sehr ich die Sounds und deren Ausrichtung auch zu schätzen weiß, bleibt der folgende Titel eines Songs ihrer aktuellen Platte “Pyre” (leider nur als CD oder digital) doch wegweisend: “But Everything I See Is Cold”. Es ist wirklich nur kalter Krach, also eigentlich keine Töne oder nur sehr wenig und keine Rhythmik, von Songs ganz zu schweigen.
Ich bin mir aber schon sicher (und Achtung, jetzt kommt ein Plädoyer), dass ich gerade die Fertigkeit, daraus Strukturen zu formen, die Emotionen erzeugen können, egal welche (also ich rede von den Tönen und deren Kombination, nicht von der Depression, die das imitierte Geräusch eines Presslufthammers erzeugt), dass ich gerade das für die hohe Kunst in der Musik halte, insbesondere wenn sie überrascht (und eben nicht den kalten Kaffee der Klischeehaftigkeit aufgiesst, denn dies ist für mich nur eine andere Form von Depression, als wäre man so stumpf geworden, dass man sein ganzes Leben und zwar jeden Tag und jede Stunde immer wieder über denselben Witz lachen würde) und uns damit auch nach vielen Jahren noch Freude und Gänsehaut bringt. Und das kann purer Noise auf Dauer nicht. Ich möchte dem seine eigene Berechtigung keineswegs absprechen, aber diese Kunst lebt vor allem über die Idee, nicht über die Emotion.
Ich mag Glice trotzdem und finde es schade, dass sie nicht mal ein Label haben.