PJ Harvey – Sa. 21.10.2023 – Berlin, Admiralspalast

2023 Live

PJ HarveyBerlin, Admiralspalast (2000 oder wievieleauchimmer Leute, vollbestuhlt!!!)
Wieder mal so’n Ding zwischen gut und böse. Fangen wir mit dem Bösen an: Ich frage mich ja ganz ehrlich, wie die besser situierten Leute, die sich sonst in Etablissements wie dem Admiralspalast niederlassen, damit klarkommen, dass sie anderthalb oder mehr Stunden ihrer Freiheit beraubt werden. Sich auf Sitze quetschen lassen, sich also weder bewegen noch was trinken dürfen und dafür sogar noch einen Haufen Geld bezahlen. Diese Frage braucht mir aber niemand zu beantworten, denn eigentich geht es mir darum, dass ich eine derartige Konstellation für jegliche Art von Rock- oder Popkonzert für völlig unsinnig halte und daran geurteilt, dass die Leute hier irgendwann aufgsprungen sind, entnehme ich, dass es allen anderen genauso ging. Die Veranstaltung war also an den Bedürfnissen des zahlenden Gastes vorbeigeplant, was als Grundärgernis unverzeihlich bleibt. Es ist eine Doppelbestrafung, der Freiheit UND des Geldes beraubt zu werden. Wenigstens hätte es dann nur halb so teuer sein dürfen.
Gut war, dass PJ Harvey sich wieder auf eine kleine Besetzung reduziert hat und weg ist von dem großen Orchester-Pompus, der sie zur Tour für ihre letzte Platte begleitete. Neben ihrem langjährigen Kompagnon John Parish und der Allzweckwaffe James Johnston, der zwar bei den Plattenaufnahmen noch nicht mitmachen darf, aber für Liveeinsätze nun endlich zum inneren Zirkel gehört, durfte auch der von mir inbrünstig geliebte Schlagzeuger Jean-Marc Butty wieder mitmischen (nicht auf der Platte allerdings, was ich zumindest merkwürdig finde) und der Gitarrist und Produzent Giovanni Ferrario, der sich vorallem als Größe in der Indieszene seiner italienischen Heimat einen Namen gemacht hat, aber offensichtlich auch schon in Hugo Race’ Band spielte. John Parish lernte ihn vor 15 Jahren kennen und seitdem verkehrt er im Dunstkreis der berühmten Sängerin aus Bristol.
Diese Konstellation, PJ und ihre großen Männer, ist ein klarer Coup, was sie offensichtlich erkannt hat und wiederholen wollte. Das war schon auf der Let England Shake Tour das A und das O und auch da war Butty mit seiner unglaublich einfühlsamen Spielweise der Schatz des Line-Ups und nur das heutige Fehlen des Größten der Großen erzeugte Wehmut, auch wenn Johnston und Ferrario ihn würdig auf der Livebühne ersetzten.
Über den Anteil des fehlenden fachlichen Inputs auch im Studio mag ich nicht spekulieren, aber Fakt ist, dass Let England Shake das alleinstehende Meisterwerk ist und da hat Mick Harvey (falls jemand noch nicht weiss, über wen ich spreche) selbstredend mitgewirkt und danach eben nicht mehr. Das Demolition-Fiasko (Studio und live) mal völlig aussen vor gelassen, tut sich auch das neue Album erstmal nicht so wohltuend hervor. Ich habs mir tatsächlich ziemlich oft angehört, um meine Urteilsfähigkeit zu fundieren, aber je öfter ich es hörte, desto schlechter wurde es mir damit. Und solch bescheuerte Einwände wie “sperrig”, wie in der Berliner Presse nach dem Konzert zu lesen, kann man ja wohl kaum als negativ beurteilen, zumal es das auch nicht wirklich ist. Dass es mit dem Pop-Faktor ihrer 90er-Klassiker nicht mithalten kann, kann der Kunst ja wohl kaum abträglich sein, im Gegenteil.
Nein, es ist einfach kompositorisch nicht ganz auf dem Niveau, das wir schon mal hatten. Bei Sportlern würde man jetzt sagen, “haben ihr Können nicht abgerufen”. In der Kunst wird dieser Begriff ja noch nicht verwendet, deswegen kloppe ich das jetzt mal knallhart auf den Tisch. Neben der schlechtesten Textzeile, die ihr jemals (noch nicht mal selbst) eingefallen ist, nämlich “Love me tender … tender love”, sind zwei drei Songs wirklich ziemlich übel, vorallem in Melodieführung und Gesang. Nach der Piano-, dann der Autoharp-, dann der Saxofon-Platte, ist das jetzt wohl die Gesangs-Platte. Es gibt auch einen Hinweis darauf, dass Parish und Flood sie ein wenig zum Über-den-Tellerrand-singen angereizt haben …. was ich hiermit als weniger gelungen attestieren würde, da sie dies in meinen Augen gar nicht nötig hat, hat sie doch über die Jahre bewiesen, eine ausnehmend gute und auch variable Sängerin zu sein. Genau der Gesang ist diesmal aber, was bei ein paar Songs brutalst nervt.
Dazu gibt es vorwiegend Synthesizer-Gequieke, was aber bei genauer Betrachtung ganz cool ist und auch live sehr sehr gut wiedergegeben war. Das buche ich jetzt aber mal ganz frech auf Floods Konto und nicht auf das der Lady. Was bleibt ist noch etwas Akkustikgitarre. Und spätestens jetzt fällt auf, dass sich das Album vielleicht doch ein wenig ZU sparsam gibt. Wenn du zweifelst, spiele es ein- zwei- oder dreimal von vorne bis hinten durch und lege direkt danach Let England Shake auf. Dann weisst du, wovon ich spreche. Das ist auch sparsam … aber dennoch voller Reichtum. Tja, man wird nunmal leider immer an seiner besten Leistung gemessen. Tut mir jetzt aber nicht leid, denn sie ist ja schliesslich kein Sternchen mehr.
Der Gesang war dann zu allem Übel auf dem Konzert auch noch einen deutlichen Tick zu laut. Dafür waren der Rest wirklich sehr schön ins Klangbild eingebettet, ganz besonders auch dieses Schlagzeug. Da hat man wirklich vom ersten Schlag an das Gefühl, etwas ganz Wertvolles erleben zu dürfen.
Von der Abfolge bekamen wir erstmal das aktuelle Album zu hören und zwar von vorne bis hinten und genau in der Reihenfolge, wie auf dem Album. Das mag für den Hörer erstmal etwas langweilig sein und die Künstlerin beraubt sich selbst der Möglichkeit, Varianten für den Live-Einsatz zu zeigen. Aber abwegig finde ich das dennoch nicht, schliesslich hat sie sich ne Menge Gedanken um die Reihenfolge der Songs gemacht. Da wir ja alle sitzen und man daher eh nur wenig sehen kann, kommen wir dadurch in den ungewohnten Genuss, eine aktuelle Platte anzuhören … aber eben in echt und ohne eventuelle Einbußen durch schlechte Pressungen (PJ Harvey Pressungen genießen nicht immer den besten Ruf, was ich persönlich sogar für einzelne Fälle bestätigen kann) und andere technische Wiedergabewidrigkeiten.
PJ singt erwartungsgemäß oft ohne ein Instrument zu spielen. Den dadurch entstandenen Leerraum versucht sie durch Gymnastikübungen, vorallem permanente ausladende Armbewegungen zu füllen, die man als hübsch, elegant, ästhetisch, vielleicht aber auch als pathetisch, uninspiriert und … naja, lass mal. Das muss man jetzt wirklich nicht kritisieren, wenn man ihr gut gesonnen ist. Ich wollte zwar zwischendurch schon mal nachsehen, ob jetzt doch das Taxi reinfährt, das sie sich herzuwinken versucht oder wurde durch meine eigenen Gedanken an einen Vergleich mit der künstlichen Maria aus Metropolis abgelenkt … aber das wäre gemein und eigentlich auch ungerecht. Trotzdem hätte ich sie lieber still und mit einem Instrument gesehen … hätte ich sie denn überhaupt sehen können, chrchr. Oft ging sie sogar noch in die Hocke oder setzte sich wo hin, denn die hatten ihre Bühne komplett möbliert. Eine angenehme Idee, um von dem metallenen Gestänge wegzukommen, was die Musiker sonst als Untersetzer für ihre Geräte benutzen müssen.
Mal abgesehen von jenen Songs der neuen Platte, die mir nicht gefallen, war bis dahin alles ok. Direkt danach wurde es dann aber kurz richtig RICHTIG gut. Und zwar in dem Moment, als die Mistress sich eine Pause gönnt und ihre großen Jungs sich in Reihe aufstellten, um “The Colour of the Earth” vom Meisterwerk zu singen. Ein Moment, der mir die minutenlang die Gänsehaut über die Beine jagte, nachdem ich mich vergewissert hatte, dass es nicht daran lag, dass meine Nerven durch das Sitzen schon abgeklemmt waren. Auch danach noch ein paar Songs dieser Platte. Für mich ein Beweis, dass sie sich selbst darüber bewusst ist, dass sie nie besser war.
Und dann war’s eigentlich gelaufen. Es folgten 7 oder 8 Songs aus dem alten Katalog, vorallem die Hits. Das führte dann auch dazu, dass alle aufsprangen und jubelten. Etwa um ihr mitzuteilen, dass sie nur ihren alten Scheiss mögen??!? Na hoffentlich nicht.
Erwähnenswert aber, dass die alten Songs sehr schön interpretiert waren, was mich am Ende zu der Aussage bewegte, dass das Konzert besser war als erwartet. Dann der übliche Zugaben-Zirkus mit anschließender Verbeugung und rausgehen und dennoch wieder reinkommen. Und gaaaanz am Schluß ein Song von meinem persönlichen Lieblingsalbum. Sogar einer der besten überhaupt: White Chalk. Zur Begleitung nimmt Parish die Akkustikgitarre was noch ok ist. Doch nach dem ersten Durchgang passiert das Schreckliche: Sie hat sich auch hier für eine Neuinterpretation entschieden. Es folgt ein verlängerter Part mit kompletter Band, also auch Schlagzeug, und dann sogar dem Einsatz einer Mundharmonika, was mich dann doch wieder zu Tode erstarren lässt. Wirklich ein Abend zwischen Gut und Böse.
Ich verstehe die Leute, die vom heutigen Konzert restlos begeistert sind. Aber: Nehmen wir mal die Let England Shake Tour. Da befanden sich auf der Bühne: PJ Harvey, John Parish, Mick Harvey, Jean-Marc Butty. Das war ein ähnlicher Rahmen. Aber PJ hatte die Arme meist um ein Instrument geschlungen und stand einfach nur da. Sie hatte ein unfassbar geniales Kleid an. Und sie spielten die Songs von der damals aktuellen und bis heute besten Platte, die sie je herausgebracht hat. Wir saßen auch, ABER wir mussten nicht. Wir hätten auch runter vor die Bühne gehen können. Das entspannte die Situation und außerdem holten wir uns während des Konzerts Getränkenachschub. Wenn ihr euch das vorzustellen versucht, dann wisst ihr, dass es auch Konzerte gibt, bei denen ALLES gut ist.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert