Berlin Beat Invasion #5 – Fr. 08.09.2023 – Berlin, Quasimodo

2023 Live

Berlin Beat Invasion #5 mit The Wrong Society, Logan’s Close, Sawel UndergroundBerlin, Quasimodo (ca. 150 Zuschauer), Fotos: Alex Amoros

Alle Teenager, denen ich so auf der Straße begegne, erzählen mir, dass sie so sein wollen wie Kai Becker. Mit zufriedenem Wohlwollen nehme ich wahr, dass die Welt sich günstig entwickelt und der Nachwuchs die richtigen Vorbilder hat. Eigentlich total logisch, ist Kai Becker doch der Frontmann der besten Punk-Band Deutschlands. Wütend und wild, toll aussehend mit cooler Frisur und coolen Klamotten und ist trotzdem ein freundlicher Kerl. Spätestens seit der diesjährigen Berliner Beat Invasion, weiss das auch der Großteil der Garage-Beat-Szene.
Doch jeder Teenager weiss, dass die Herrlichkeit der Welt im Abgrund der Menschlichkeit wohnt. Getreu der Teenage Shutdown-Generation der Mitt-Sechziger weist uns also auch die Wrong Society den Weg nach unten, für alle diejenigen, die bereit sind, sich herabzulassen und die Perlen am Boden zu suchen. Und so ist es nur umso natürlicher, dass das brandneue und erste Full-Length-Album dieser in Hamburg ansässigen Übergötter nicht anders betitelt sein kann als “Down With” … the Wrong Society.
Der Eintritt in die Welt dieser Gesellschaft ist allerdings nicht umsonst. Ein gewisses Maß an Leidensbereitschaft ist unerlässlich, um es ertragen zu können. Dem Teeniealter gerade mal entwachsen, liegt aber dennoch soviel Unschuldigkeit in ihrem Vortrag, dass man manchmal nicht mehr genau zu trennen vermag, wo der Schalk aufhört und das echte Leiden beginnt. “Moody” ist das allseits verwendete Etikett, das dem geplagten Teenage Beat Punk anhängt, um zu beschreiben, wie scheisse es sich anfühlt, wenn man das erste und das zweite und das dritte Mal verraten und verlassen und gemobbt und sonstwie gepeinigt wird. Das, was alle gewöhnlichen Pubertierenden durchmachen, der Horror auf der Schule, aber auch die früh einsetzende Depression, wenn die Familie in den Arsch geht … ah, wasauchimmer. Manchmal ist es ja auch schön, sich in Traurigkeit zu weiden. “Moody”, um endlich zu sagen, was ich eigentlich sagen wollte, ist das Etikett, das keine mir bekannte Band mit kleiner Besetzung so vollkommen ausfüllt wie die Wrong Society.
Ich kenne ein Mädchen, das mir mal erzählte, dass sie, frei nach einer ganz anderen Ballade unserer Zeit, immer Teil einer Jugendbewegung sein wollte … und es niemals war. Im Gegensatz dazu hat die Wrong Society davon die Schnauze sowas von voll. Sie träumen nicht nur davon “von uns zu gehen”, sondern legen uns nahe, dass wir ihnen gerne auch folgen dürfen. Den Weg nach unten weisen sie uns in allen erdenkbaren Facetten. Das hat Stabilität und diese Verlässlichkeit ist beruhigend.
Den Spannungsbogen ihrer Performance drücken sie mutwillig, um irrgläubig aufkommende Euphorien schon im Keim zu erdrosseln. Das von mir gelegentlich als enttäuschend erklärte Fehlen unterschiedlicher Song-Tempi wird bei der Wrong Society zum Stilmittel. Schnell, laut, bunt, knallig – nein, so einfach ist es nicht. Die Wrong Society verweigert sich glücklicherweise den bescheuerten Pflichten des 21sten Jahrhunderts und gibt sich daher als Stilleben mit vier Personen in Anzügen. Wer hier tatsächlich erwartet, dass sie sich Mühe geben, unterhaltsam zu sein, dem können wir nur mitleidvoll zulächeln.
Aber das, was sie scheinbar nicht selbst beeinflussen können, nämlich die bestaussehendste Band mit den besten Songs und der besten Attitüde dieses und vieler anderer Abende zu sein, das macht sie zu dem, was man einfach liebhaben muss – schrecklich lieb.
Kein besserer Beweis dafür findet sich kurz vor der Zugabe, wenn Kai sich viermal den Gitarrengurt umwerfen und sich dann auch noch helfen lassen muss, damit er ihn mit der anderen Hand greifen kann. Und wenn er danach so tief aus den Backen bläst, dass die Vorhänge an der Rückwand des Quasimodo zu flattern beginnen, spätestens dann flutet einem das Herz und die Menschen beginnen zu verstehen, warum alle anwesenden Teenager am nächsten Tag alle ihnen bekannten Outsider aufsuchen und mit glühenden Worten überzeugen werden, mit ihnen eine Band zu gründen.
Ich war erstmal nicht davon begeistert, dass sie an das Ende des Billings gesetzt wurden, denn es spielten an diesem Abend auch noch andere gute Bands. Aber Birgits Plan erwies sich als treffsicher, denn alleine die Position verstand das Publikum als Würdigung, der es gerne zu folgen bereit war.
Das Warten, mir endlich die LP anzuhören, wird mir sehr schwer fallen, aber mein Plattenspieler befindet sich, wie sooft in den letzten 10 Jahren, irgendwo in Umzugskisten und muss noch etwas warten, damit ich meinen neuen Nachbarn beweisen kann, wie mitfühlend ich kein Teil welcher Society auch immer sein möchte.
Fuck the society, fuck entertainment – this is the Wrong Society and this is so right that it hurts!

Doch wie bereits angedeutet, waren sie nicht die einzige Sensation an dem Freitag dieser Beat Invasion, der übrigens ein Donnerstag im Wiener Blut voran ging und ein weiterer Abend im Quasimodo mit ebenfalls drei Bands folgte, denen ich beiden aber leider nicht beiwohnen konnte…. äh, das hätte man vielleicht anders ausdrücken können, aber eigentlich gefällt mir der Ausdruck, denn er hat irgendwie was Schäbiges.
Ähm, ich wollte von einer weiteren Sensation sprechen. Nicht, dass es uns überrascht hätte, nachdem die Edinburgher Logan’s Close bereits auf dem Garageville vor ein paar Jahren bewiesen, wie viel Hoffnung wir auf sie setzen dürfen.
Vom blutjungen Bassisten haben sie sich getrennt bzw. er musste zuhause bleiben. Dafür haben sie einen Typen eingestellt, der optisch zwar besser zu Motorpsycho passen würde, spielerisch und klanglich aber eine quantensprungartige Bereicherung darstellt. Mit seinem lyre-lookalike Danelectro pumpt er Basslines, die so groovy sind, dass man fast auf unerhörte Gedanken kommen könnte, wenn man nicht in meinem Alter wäre. Er klinkt sich irgendwo zwischen Rhythmus- und Melodiegruppe ein und das tut dem einen wie dem anderen extrem gut.
Die beiden Sänger, Gitarristen und Masterminds der Kapelle teilen sich nachwievor sehr vielfältig und locker zwischen, während und über den Songs auf, was sie so zu bieten haben … und das ist eine Menge. War ihr Songwriting vorher schon auf hohem Niveau, haben sie jetzt noch mal zwei Schippen … draufgelegt würde ich nicht sagen … eher verfeinert. Einmal wesentlich mehr Melodienreichtum (der Gesang ist mit dem Norweger jetzt sogar dreistimmig geworden … und die Stimmen sitzen wunderbar exakt) und zum zweiten haben sie ihren Kompositionsreichtum derart erweitert, dass man vor überraschenden Wendungen und Harmoniewechseln gar nicht mehr weiß, wo einem der Kopf steht. Teilweise werden sie schon fast progressiv. Aber trotz aller Abwechslung sind sie eine Band, eine Einheit, ein Ganzes, das seinen eigenen Weg geht. Was wünscht man sich mehr?

Naja, für einen Heile-Welt-Hasser wie mich sind sie mittlerweile fast schon ZU poppig und Zu wenig Punk. Sie strahlen um die Wette, aber das tun sie weil ihnen der Spaß aus den Hemdkragen springt und die Bäckchen glühen macht. Ja, das geht mir fast zu weit, aber es ist halt einfach, weil sie lieben was sie tun. Das ist unübersehbar.
Daher die Empfehlung: Schaut euch Logan’s Close JETZT an, Leute, denn wie oft hatten wir schon Bands, bei denen man einfach das Gefühl hatte, dass JETZT der Zeitpunkt ist an dem alles passt, dass sie vor Energie explodieren … und danach war es nie wieder wie damals. Das muss mit den Schotten nicht passieren, aber ich habe das starke Gefühl, dass sie zumindest am ersten Zenith ihres Schaffens sind und ich wünsche ihnen sehr, dass es nicht der letzte sein wird.

Der Abend wurde eröffnet von Sawel Underground, von denen ich mir ehrlich gesagt, mehr erwartet hatte. Ein blutjunger Vierer aus England, die zwar auf die Beat Invasion passen, aber Garage-Beat ist das nicht wirklich, auch nicht sehr psychedelisch (wie dem Etikett zu entnehmen war). Die sind sehr traditionell, ziemlich rhythm-bluesy (ah, hab ich schon gesagt, dass ich nicht soooo der große Blues-Fan bin?), sehr vintage und daher natürlich auch hier erfreulich, auf welche Pferde sich die Kinder setzen. Trotz starkem Gesang fehlt mir aber noch etwas der Pfiff, die eigene Note und ein wenig auch der Grip in Kompostion und Sound. Es ist einfach noch ein wenig fad. Doch egal wie sie sich entwickeln werden, das wird definitiv interessant.
Ich glaube, die haben mir auch erzählt, dass sie mit dieser Musik anfingen, als sie von Kai Becker hörten. Oder bin ich jetzt meinen eigenen Tagträumen erlegen? Möglicherweise einer der wenigen Träume von einer Welt die sich richtig anfühlt, in der es auch mal nach oben geht. Aber will ich das auch? Najaaaa, vielleicht lassen wir das mal mit den hohen Erwartungen. Das Risiko enttäuscht zu werden ist doch einfach viel zu groß, hehe. Bleiben wir lieber wieder bei der Verlässlichkeit des Verderbens, aye!

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