The Lemon Twigs, Tchotchke – Berlin, Kesselhaus (ca. 1000 Zuschauer) (Foto: Danke an meinen neuen Hausfotografen für die tollen Bilder. Ich hab ihn gefragt, ob ich seinen Namen erwähnen soll und ich hab vergessen, was er geantwortet hat, hahaha, lass ihn uns Mr. S. nennen)
Würde man die Lemon Twigs gegen eine Liste der Unverzeihlichkeiten halten, die eine Band sich leisten kann, dann würden sie ne Menge dieser Kriterien erfüllen. Ich denke da bspw. daran, sich an jedem Versatzstück der Rock’n’Roll-Geschichte zu bedienen, das sich der liebe Herrgott jemals ausdenken konnte. Das gilt für Trademarks im Songwriting wie im Stage-Acting. Tatsächlich habe ich selten eine Band gesehen, die sich so breitflächig an Klischees bedient.
Aaaaaber: Ich habe auch selten eine Band gesehen, die dies dann doch mit soviel sehr speziellen Charm und Eigenheiten bestückt … und dies auf höchstem Niveau. Die Kompositionen platzen vor Ideenreichtum, sind gespickt mit unerwarteten Taktwechseln, ungewöhnlichen Einstreuern, komplexen Gesangs- und Instrumentierungsarrangements und fließen doch samtweich vom regenbogenfarbenen Pophimmel runter. Denn: die beiden D’Addario-Brüder als einzige zentrale Gestalter der Band sind ganz nebenbei auch unverkennbare Liebhaber der 60er- und 70er Jahre Pop-Rock-Musikgeschichte. Das waren die goldenen Zeiten und auch die psychedelischen Zeiten und auch die Zeiten von Glitter, Glam und Punk.
Letzteres für meinereiner zunächst zu wenig, weshalb sie mir erstmal eher suspekt vorkamen. Viel zu süßlich, viel zu viel Tralala, viel zu viel Kopfstimme, usw.
Dooooch: Nach Erscheinen der aktuellen (und vierten) Platte “A Dream Is All We Know” bin ich öfter mal hier und da an einem ihrer wirklich tollen Videos hängengeblieben und lernte, dass sie nicht nur Wunderkinder an Handwerk und Kreativität sind, sondern auch über einen wirklich sehr coolen Humor verfügen, der sie jeglicher Arroganz enthebt. Zudem sehen sie immer gut aus und tragen die richtigen Klamotten. Es dauerte dann nicht mehr allzu lange und ich musste bekennen: Ich bin zum Fan geworden!
Dabei mochte ich erstmal leichte Zweifel erheben, dass sie diese Songs auch live spielen und singen können, was jedoch weit gefehlt war. Tatsächlich verlieren sie sich im Studio durchaus auch mal deutlich in den Möglichkeiten einer Instrumentierung und dem Versinken im Schmonzettenhaften. Das alles wird live zur gitarrenlastigen Geradlingkeit entkernt, was dem Ganzen extrem gut tut und man wirklich nur mit staunenden Augen bewundern kann, wie lässig die ihren Scheiß runterreißen. Die Rickbacker-12-String-6-String-Zange sitzt und klingt perfekt und dIe aktuelle Besetzung mit Reza Matin (Uni Boys) am Schlagzeug und Danny Ayala am Bass sitzt nicht nur angegossen wie ein enges Ringelshirt sondern erlaubt ihnen auch mal die Instrumente zu wechseln und so noch ein bisschen mehr Variation in ihr Liveerlebnis zu bringen.
Die Lemon Twigs haben höchstens einen Fehler, nämlich, dass sie fast schon ZU gut sind. Ihre Songs sind Pop-Juwelen aus dem Songbook der 60er und stehen daher nicht nur auf den denkbar besten Wurzeln sondern fühlen sich sehr eingängig an, besitzen aber soviel Qualität und erstmal nicht direkt wahrnehmbare Vielfalt, dass die Halbwertzeit höher ist als beim üblichen Hit-Geschehen der heutigen Tage. Das ist wirklich Musik für alle, die man auch bedenkenlos allen Menschen empfehlen kann. Auf Platte leider ZU verspielt, live unschlagbar!
Ahja, sorry, davor eine junge Mädchenband namens … ui, jetzt müsste ich selber im Header nachschauen, wie man das buchstabiert. Aussprechen könnte ich es sowieso nicht.
Die sind aber eigentlich sowas wie die kleinen Schwestern der Lemon Twigs. Halten sich auch strikt ans Protokoll was die Instrumentierung und das Songbook betrifft und setzen dabei deckungsgleich auf den twigschen Humor. Ja, sind noch mal ne deutliche Nummer quietschiger als die Jungs, aber sie sind gut. Als Vorbild für kleine Mädchen völlig in Ordnung und damit will ich das nicht abgewertet haben.