Nick Cave & the Bad Seeds – München, Zenith (ausverkauft, vielleicht 7.000 Besucher?!) Foto: B.B.
Nick Cave schafft es spielend bis zu 10.000 Menschen zu seinen Konzerten zu bewegen. So auch in München. Die Show war lange vor Termin ausverkauft und hätte ich nicht auf verschiedenen Kanälen und Portalen nach Karten gesucht, wäre dieser sakrale Moment ohne mich zelebriert worden. Neben professionellen Ticketdealern, offensichtlichen Betrugsversuchen und einer positiven Überraschung wurde ich zusammen mit meiner Begleitung, die die Initialen B.B. trägt, dann doch noch fündig und wir dürfen nun Zeugnis ablegen, ob dieser Herrlichkeit.
Mit etwas Verspätung, ohne Support Act vorne weg, betreten The Bad Seeds, in gediegen schwarze Anzüge gehüllt, die Bühne. Unmittelbar gefolgt vom Meister selbst. Nach wenigen Takten füllt die Aura dieses Mannes, die unzweifelhaft als unromantisch zu bezeichnende Atmosphäre des Münchner Zenith mit dominat dunkler Noblesse. Die B.B. und ich haben Glück und können die limitierten Plätze direkt vor der Bühne einnehmen. Somit werden wir unmittelbar Zeugen einer prätentiösen Selbstdarstellung, die niemals aufgesetzt oder gar überheblich wirkt.
„Jubilee Street“ „We call upon the Author“, „The Weeping Song“, „The Ship Song“, „Tupelo“, „The Mercy Seat“, „Stagger Lee“, „Into my Arms“ alles im Programm. Auch zwei, drei Songs, die mir gänzlich unbekannt sind. Ein manisches fast 15-minütiges „From here to Eternity“, das allen Anwesenden auf und vor der Bühne Nerven wie Drahtseile abfordert. Ein Ringen mit den Mächten, Pein, Erniedrigung, Körpereinsatz nebst ihrer Säfte. Unterbrochen von instrumentalen Noiseausbrüchen, die, von der ursprüngliche Komposition abweichend, auf die Zuhörer hereinbrechen, als hieße es, die Mauern Jerichos einzureißen. Ein Zurückfinden aus diesen Lärmwänden ist nur unter Zuhilfenahme von Warren Ellis möglich, der nach minutenlanger Tobsucht, drohend mit dem Geigenbogen einzählt und die wild wuchernde Saat zur Disziplin ruft.
„LISTEN“, zwischen den Songs unüberhörbar in´s Mikrophon gezischt, scharfzüngig, schulmeisterlich und eindringlich mahnend. ZuHÖREN fordert der Meister und meint damit Ungehörige, die vor der Bühne offenbar unaufmerksam sind. Diesen Abtrünnigen kommt er gern sehr Nahe, beugte sich herunter zu ihnen, verordnet Konzentration und verleiht seiner Forderung fast körperlich Ausdruck. Dann jedoch gleich wieder – ganz chargierte Nonchalance – hat er ein Lächeln um die Mundwinkel. Und die Herde folgt dem Hirten. Will ihm folgen, nicht nur seine Hände reicht er in die ersten Reihen, nein auch seine schwarzen, hochglanzpolierten Chelsea-Boots. Auch diesen wird untertänig Ehre zu teil.
Licht-Ton-Bild-Videoscreening alles, alles perfekt durchdacht, aber niemals dem Selbstzweck oder der eigenen Eitelkeit dienend. Oft ist das die Frage, die ich mir bei derart großen Produktionen, in großen Hallen mit hohen Eintrittspreisen, stelle. Wird der performative Akt die narrative Kraft des Werkes stören ? Wird es gar ein von Technik überladener Sündenfall ? Cave war Punk, für mich war er auch Dada, weil, spuckte er doch mit The Birthday Party auf alle möglichen Formen arrivierter Kunst. Also, was nun, Nick ? – Kunst erfordert Verrat und triumphiert über diesen Verrat, denn der Verrat wird wiederum in Kunst gewandelt – Und so wurde das Fleisch eins mit dem Blut und der ausufernden Darbietung und der Hingabe aller Beteiligter und diente als Vermittler zwischen den Fronten notwendiger technischer Mittel. So, als würde alles nur aus Schwarz und Weiß und ein wenig Rot bestehen, alles unter Hochspannung, britzelnde funkensprühende Lichtbögen aus Energie, die in einen Mahlstrom herabziehen und wieder ausspeien, nur, um sich/dich/uns anschließend, ekstatisch aufgeladen, erneut hineinzustürzen.
Ob das, als Konzertabschluss geltende, auf die Bühne bitten von unzähligen Zuschauern, um anschließend mit ihnen „Push the Sky away“ darzubieten, einen bleibenden, unvergessenen Moment vermittelt hat, mag dahingestellt bleiben. Eines jedoch bleibt, da waren die B.B. und ich einhellig der Meinung: Cave geißelte sich 120 schmerzhafte Minuten und entließ sich selbst und sicher auch den ein oder anderen seiner Jünger mit einem Gefühl, vielleicht ja doch die ein oder andere Sünde erlassen bekommen zu haben.